Jakob Kabas ist seit 11.November 2022 Vorsitzender des Verbands „Lebenswelt Heim“, der bundesweit für die Interessensvertretung von über 600 Alten- und Pflegeheimen und rund 40.000 Pflegekräften zuständig ist. Im Interview mit Mathias Huber im “Paulinum”, der Zentrale der Caritas Steiermark, erzählt er, wie der Status Quo in der Branche aussieht und wo sich dringend etwas ändern muss.
Herr Kabas, wie steht es im Jahr 2023 um die österreichische Pflege?
Die Lage ist immer noch angespannt. Selbst wenn die Regierung die Pandemie für beendet erklären wird, heißt das noch nicht, dass alles was sie uns strukturell und körperlich gekostet hat, auch verschwinden wird. Wir werden sicher noch lange damit kämpfen, dass uns in dieser Zeit Menschen aus allen Gruppen bis in die Führungspersonen verlassen haben. Man spricht ja mittlerweile sogar schon davon, dass inzwischen 20% der bundesweiten Spitalsbetten leer stehen. Das zeichnet sich auch bei uns ab. Einerseits kämpfen wir mit dem Personalmangel, das zweite Problem ist die Qualifizierungsfrage.
Wie könnte man den Aderlass an Personal stoppen?
Eine Allgemeinlösung gibt es dafür nicht. Man kann nicht die Versäumnisse der letzten 20 Jahre innerhalb der nächsten fünf Jahre wettmachen. Das geht schon wegen der verschiedenen Curricula der Berufsgruppen nicht. Auch wenn man überall an allen Ecken und Enden bestrebt ist, Ausbildungsplätze aufzustocken, haben wir diese Situation. Vor zwanzig Jahren hatte ich viele Bewerber und wenige Plätze, heute ist es umgekehrt. Natürlich gibt es Maßnahmen, die jetzt schon angedacht werden, wie Leute als Hilfsdienste ins System zu holen. Einerseits zur akuten Verbesserung, andererseits erhofft man sich, dass die einen oder anderen dann sagen: „Das ist ein Job für mich, in dieser Branche möchte ich bleiben.“
Das Zweite ist: Man braucht einen guten Mix aus verschiedenen Ausbildungswegen. Man kann nicht mehr sagen: Nur die Akademisierung oder nur die Lehre sind der Weg. Man muss einfach schauen, wie man kurz- und mittelfristig Leute ins System bekommt. Dazu muss man jeden Baustein prüfen und die Diskussion entemotionalisieren.
Wie können die Ausbildungswege noch verbessert werden?
Ich glaube, man muss nach wie vor schauen, dass die Systeme gut ineinandergreifen. Dass Leute, die sich auf diesen Weg machen, keine Karrierebrüche erleben. In der Ausbildung nicht, und auch später im Berufsleben nicht. Das Leute, die pflegend betreuen wollen, ob das in der Arbeit mit Behinderten ist, ob das im Spitalswesen ist oder in der Pflege, die Systeme müssen durchlässiger werden, sowohl in der Ausbildung als auch vor Ort.
Wie wird sich die Branche in den nächsten Jahren verändern?
Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten Jahren den Pflegeroboter haben werden, der viel im Bereich ersetzt. Das ist eine Illusion. Ich war zuletzt bei einem Kongress, dort war auch jemand, der im Bereich Robotik arbeitet. Er hat gesagt: Denken wir nur an die Rasenmäherroboter oder Staubsauger, die von selbst arbeiten. Allein, um in diesem Bereich so weit zu kommen wie wir sind, hat es 20-25 Jahre Entwicklung gebraucht. Und jetzt reden wir bei der Pflege aber von hochsensiblen Tätigkeiten, da würde ich staubsaugen oder rasenmähen jetzt nicht unbedingt dazuzählen. Ich glaube, dass es viele Assistenzsysteme brauchen wird, die die Arbeit erleichtern. Aber die Beziehungsarbeit, die Interaktion, den Faktor Mensch, wird es nach wie vor brauchen.
Wie würde es gelingen, die Work/Life-Balance ausgeglichener zu gestalten?
Was die Einstiegsgehälter betrifft, sind wir zum Beispiel bei Frauenberufen im oberen Drittel. Was alles erschwert, ist die Unplanbarkeit. Ich möchte ja einen Dienstplan haben, den ich heute bekomme, der morgen auch noch gilt. Das bietet eine gewisse Sicherheit und Planbarkeit für private Interessen.
Wie gelingt es, Vorurteile rund um den Beruf auszuräumen?
Ich sage immer: Am Meisten würde helfen, wenn die, die den Beruf ausüben, gut über den Beruf reden. Ich glaube einfach, man müsste zuerst bei den Leuten ansetzen, die schon im System sind. Man müsste sie einfach fragen: „Was sind die Belastungen, die ihr habt?“ – Und wie können wir dann darauf antworten? Was hilft die beste Imagekampagne, wenn ein gewisser Prozentsatz im Beruf schlecht davon redet. Ein Kampagnenspot im Fernsehen ist zwar nett, aber das Gerede am Stammtisch oder mit Freunden und Familie ist eine andere Sache. Deswegen müssen wir einmal mit den Angestellten reden.
Sind sie der Meinung, dass von der Politik aktuell adäquate Veränderung geplant werden?
Ich war erst kürzlich wieder beim Gesundheitsminister. Schade ist, dass die Initiativen, die er setzt, aufgrund der Art und Weise, wie sie dann umgesetzt werden, untergehen. Das ist nicht allein seine Schuld, sondern immer noch die unserer föderalen Struktur. Wann hat der letzte Minister denn einmal eine Milliarde für die Pflege in die Hand genommen? Die Umsetzung verläuft dann aber immer noch über Länderebene. Ich bin aber schon der Meinung, dass er jemand ist, der nicht nur reden, sondern auch umsetzen möchte. Und wenn sich die Pandemie langsam tatsächlich entspannt, dann hat er auch mehr Kapazitäten dazu.
Stichwort Community Nurses. Welche Jobs werden im Gesundheits- und Pflegewesen künftig am gefragtesten sein?
Alles, was Social Skills beinhaltet, wird sicher einen höheren Stellenwert haben. Man wird die Leute auch in Sachen psychische Kompetenzen stärken müssen. Man muss schauen, was man um die eigentlichen Patienten herum gestaltet. Die Betreuten kommen noch selbst viel zu wenig zu Wort. Wir müssen noch mehr mit ihnen reden. Wir können uns eben auch nicht darüber hinwegschwindeln, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in den Heimen mittlerweile schon bei unter zwei Jahren liegt. Der Dialog mit denen, für die wir eigentlich arbeiten, ist wichtig.
Welchen Rat Sie jungen Pflegerinnen und Pflegern geben, die in den Beruf kommen?
Du musst Menschen mögen. Wenn du Menschen nicht magst, dann bleib draußen. Dir werden Dinge passieren, die dir peinlich sind. Man braucht einen guten Zugang zum Thema Scham.
Blicken Sie der Zukunft optimistisch entgegen?
Ich glaube, dass die Zukunft besser wird, als es die Prognosen und Medienberichte vermuten lassen. Wenn wir die Dinge gemeinsam angehen, und mehr Sachlichkeit an den Tag legen, dann kann viel werden. Sich die Neugier für das bewahren, was geht und offen dafür sein, dass es möglich ist.
Autor: Mathias Huber