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Wo Männer gefragt wären: Mobile Pflege der Volkshilfe Wien

Victoria Frühwirth, Studentin des Studiengangs Journalismus & Public Relations der FH Joanneum Graz, hat sich mit vier Mitarbeiter:innen der Volkshilfe Wien über das Geschlechterverhältnis in der Pflegebranche unterhalten und ihre Meinungen über das Warum und Wieso abgefragt. Dass es ein Umdenken in der Gesellschaft braucht, darüber sind sich alle einig. Doch auch von den Interviewten selbst wurde das eine oder andere Klischee auf den Tisch gebracht. Ein Zeichen dafür, dass es ein Umdenken nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der Pflegebranche braucht?!


Neben humanitärer Hilfe ist die Volkshilfe Wien Dienstleister im Auftrag der Gemeinde Wien für die Bereiche Pflege und Betreuung, Wohnungslosenhilfe, Delogierungsprävention, Arbeitsintegration, Flüchtlingsbetreuung sowie Kinder- und Jugendbetreuung. Schon seit dem Ersten Weltkrieg unterstützt sie in Not geratene und hilfsbedürftige Menschen.

Die Mobile Pflege der Volkshilfe Wien betreut und pflegt Menschen bei ihnen zu Hause. Unter anderem durch Advanced Nursing Practice: Pflegepersonal mit ANP-Qualifikationen kann Patient:innen in Spezialbereichen versorgen. Zum Beispiel solche mit chronischen Erkrankungen oder im Reha-Bereich.

Seit sieben Jahren ist Tanja Reitbauer bei der Volkshilfe Wien beschäftigt. Heute ist sie stellvertretende Pflegedienstleitung, nebenher ist sie die Leitung aller Advanced Nursing Practice mit vier Mitarbeiter:innen. Zum Pflegeberuf kam die Steirerin aus sozialem Interesse. Früh in ihrer Jugend übte sie sich schon als Notfallsanitäterin beim Roten Kreuz, doch spätestens nach dem Beginn ihres Medizinstudiums in Graz merkte Tanja, dass es sie in die Pflegewissenschaft zieht.

 

Im Lager zeigt Tanja Reitbauer, welches Equipment der Mobilen Pflege der Volkshilfe Wien zur Verfügung steht.

In der Pflege und Betreuung der Volkshilfe Wien machen Frauen 82,56 Prozent der etwa 700 Mitarbeiter*innen aus, Männer kommen nur auf 17,44 Prozent. Darüber äußert Tanja sich so: „Das Bild von der Pflege ist veraltet. Das Bild, dass Frauen großenteils die Pflege übernehmen, kommt aus der Geschichte. Der Pflegeberuf war früher historisch gesehen „frauenlastig“, auch wegen der geistlichen Orden, die sich ihrem Motto Nächstenliebe entsprechend stark eingebracht haben.“ Ihr Kollege Stefan Gasch spricht von frauengeführten Klöstern, in denen im Mittelalter die Pflege als Beruf entstanden ist. Tanja meint, das alte Bild, dass Pflege ein Frauenberuf sein, spiegle sich in den Zahlen, „aber da muss man weiter ausholen und den gesellschaftlichen Part dahinter sehen. Dieses Bild gehört aufgebrochen. Meines Erachtens ist es nicht mehr zeitgemäß.“ 

 

Stefan Gasch wünscht sich mehr männliche Pfleger, die Patient:innen mobilisieren können.

Stefan Gasch ist Pflegedienstleiter bei der Volkshilfe Wien und arbeitet seit März 2020 als Advanced Nursing Practice. Er ist davon überzeugt, dass überdurchschnittlich viele Männer in Pflegeberufen in Spezialbereichen wie der Intensivstation und der Anästhesie, der Dialyse oder im OP-Bereich arbeiten. „In diesen Bereichen gibt es mehr Technik, vielleicht sind das Dinge, die das männliche Geschlecht mehr ansprechen“, meint er. Weil Männer und Frauen unterschiedliche Vorteile haben, sollen Arbeitsteams ausgeglichen sein, was die Geschlechter betrifft.

Wieso Stefan sich mehr Männer in der professionellen Pflege wünscht? „Pflege ist ein schwerer Beruf, allein schon von der Anatomie. Es heißt viel mobilisieren, es sind viele Tätigkeiten, die viel Kraft erfordern. Da ist es schon angenehm, Männer in der Pflege zu haben, die eine ganz andere Anatomie als Frauen haben und die auch körperlich belastbarer sein sollten“, sagt er. Stefan wünscht sich in Zukunft einen Männeranteil von 30 Prozent in Pflegeberufen. Um mehr Männer in die Pflegebranche zu bringen, schlägt er eine Modernisierung und eine praxistauglichere Beschreibung der Arbeitsbedingungen vor, bessere Arbeitszeiten und die Möglichkeit auf ein Privatleben.

Danijela Gudzic arbeitet seit 1996 als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin bei der Volkshilfe Wien. Sie startete damals mit der Motivation, den Patient:innen Hilfe und Unterstützung anbieten zu können. Über die Jahre arbeitete Danijela unter anderem im Überwachungsraum für Herzinfarktpatient:innen, in der Langzeitpflege, im stationären Bereich und jetzt in der mobilen Pflege. Es gibt viele verschiedene Fachbereiche, die man sich anschauen kann. „Denn Pflege ist vielfältig“, so Danijela, „und Pflege ist weiblich. Leider.“

 

Danijela Gudzic freut sich, dass Männer in der Pflege gelassener sind als Frauen.

Die Gesundheits- und Krankenpflegerin ist davon überzeugt, dass Männer andere Sichtweisen und Charaktereigenschaften mit sich bringen. Danijela fasst es so zusammen: „Es geht gar nicht um das Körperliche, das macht nur einen geringen Teil aus. Da, wo eine Frau psychisch an ihre Grenzen kommt, hat ein Mann evolutionsbedingt eine andere Sichtweise. Männer in Pflegeberufen sind gelassener als ihr Kolleginnen und scherzen zwischendurch. Das brauchen die Patienten. Frauen geraten eher dazu, hektisch zu werden, da sie alles sehr genau bearbeiten wollen.“

 Bernhard Peter kam durch seinen Zivildienst im Altersheim in Kontakt mit Pflegeberufen. Ihm gefiel die Arbeit mit älteren und psychisch Erkrankten so gut, dass er seit seinem Diplom 2012 bei der Volkshilfe Wien arbeitet, heute als Advanced Nursing Practice. Dort ist er zuständig für Recruiting, die Personalentwicklung in der Pflege sowie fachliches Weiterbildungsmanagement. Er nimmt das Geschlechterverhältnis in der Pflegebranche wahr mit 80 Prozent Frauen und 20 Prozent Männern. In Pflegeassistenzausbildungen bemerkt er einen Trend zu mehr Männern, da kommt es schon fast zu einem 50/50-Verhältnis, meint er.

 

Bernhard Peter kümmert sich bei der Volkshilfe um Human Resources.

Bernhard findet, wir sollten die Geschlechterfrage ausblenden. Und weiter: „Wir wissen aus Studien, dass gemischte Teams besser arbeiten. Es ist aber so, dass das Bild der pflegenden Frau bei älteren Generationen stark verankert ist. Hin und wieder kommt es vor, dass pflegende Männer von Kund:innen abgelehnt werden.“ Das liegt zum einen an schlechten Erfahrungen, Stichwort Gewalt im Krieg, zum anderen am Schamgefühl, das bei Kund:innen bei männlichen Pflegern stärker ausgeprägt sein kann. „Das macht es für uns doppelt schwierig, weil wir gegen die gesamtgesellschaftlichen Windmühlen ankämpfen müssen. Denn wir haben den Auftrag, unsere Kund:innen zufriedenzustellen, aber dann kommt es manchmal zur Ablehnung aufgrund des Geschlechts“, kritisiert Bernhard.

 

 

Autorin: Victoria Frühwirth

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